Letzte Woche sind wir über eine sogenannte Frauenzeitschrift gestolpert, die auf ihrem Cover eine „neue“ Diät ankündigte. Sie wurde die „Veganista-Diät“ genannt und versprach Schlankheit durch „Detox-Effekt“. Gerade der „Detox-Effekt“ ist natürlich überhaupt nichts Neues. Damit wirbt ja ständig jede zweite „Frauenzeitschrift“. Die Überraschung war dann der Artikel, in dem es darum ging, wie man mit Hilfe einer veganen Diät Gewicht abnehmen könne.
Um den Leserinnen die Sache schmackhaft zu machen, wurden zunächst ein paar „Stars“ angeführt, die sich vegan ernähren. Dann wurde unterstrichen, dass es sich hier um weit mehr als einen „Promitrend“ handele, denn schließlich seien laut Vegetarierbund bereits 600 000 Deutsche Veganer_innen. Im Vergleich zu einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen sind das natürlich so viele, dass bestimmt bald die Tofuwürstchen im Bioladen knapp werden. Allerdings beweist die Zeitung schon allein mit ihrem Artikel, dass Veganismus kein „Promitrend“ allein ist. Vielmehr kann man jetzt wohl von einem „Diättrend“ sprechen.
Beim Weiterlesen wurde schnell klar, dass es nicht um Veganismus ging. Es ging vor allem um die gesundheitlichen Mythen, die diese Lebensweise umgeben. Während man sich früher an jeder Ecke für seine Ernährungsweise rechtfertigen musste, wurden hier die gesundheitlichen Vorteile pflanzlicher Ernährung ausgebeutet und aufgeblasen. Ja, gut, man nahm sich in dem Artikel ganz kurz die Zeit, den ethischen Veganismus zu erklären. Aber dann wurde sehr deutlich, dass es hier weder um Ethik, noch um Moral oder Tierrechte ging. „Was bringt das für mich?“ lautete die zentrale Frage. Dass diese in einem krassen Wiederspruch zum Selbstverständnis der meisten Veganer_innen steht, fällt natürlich nicht auf.
Nun widmete sich der Artikel den gesundheitlichen Vorteilen des Veganismus. Natürlich stand sogleich der Gewichtsverlust im Zentrum. Veganer_innen seien dünner als sogenannte Normalesser. Die Erklärung: Sie täten sich mehr Gemüse auf ihre Teller. Außerdem nähmen sie keine Chemikalien oder Giftstoffe aus Tierfutter oder tierischem Eiweiß zu sich. Dies führe zu dem erwünschten „Detoxeffekt“. Das heiße, so wurde behauptet, zwei bis drei Tage nach der Ernährungsumstellung fühle man sich gleich leichter und sei voller Energie. Das wird ja sehr gerne nach Ernährungsumstellungen behauptet. Übrigens, auch Gemüse kann, man mag es kaum glauben, chemische Zusatzstoffe enthalten. Beim Entgiften verlasse ich mich daher lieber ganz auf Leber und Niere. statt auf Diäten.
Als nächstes kamen die Ernährungstipps: Kalzium und Vitamin B12 wurden erwähnt. Letzteres komme nur in Sauerkraut und Algen vor, deshalb solle man lieber Tabletten nehmen. Eiweiß wurde natürlich auch angesprochen. Keine rede von Hülsenfrüchten. Stattdessen wurden Nüsse ins Zentrum gerückt. Und weil man Nüsse empfahl, war diese Diät kalorientechnisch nicht so spartanisch ausgerichtet wie andere, die man in Frauenzeitschriften üblicherweise findet. Es wurde darauf hingewiesen, dass man so langsam und ohne Hunger abnehmen könne.
Dieser Hinweis ist auch so ziemlich das einzige, was vernünftig klingt. Der Rest basiert auf Missinformationen und Mythen. Zum Beispiel kann man die Aussage, Sauerkraut enthalte Vitamin B12, überall im Internet finden. Aber selbst wenn man täglich zwei Kilo Sauerkraut essen würde, man würde trotzdem einen schweren Vitamin-B12-Mangel davontragen. Denn das Vitamin B12 in Sauerkraut kann nicht vom Körper verwertet werden. Kein einziges Pflanzenprodukt enthält nach Stand der Forschung zuverlässig für den Menschen verwertbares B12. Um fair zu bleiben sollte ich erwähnen, dass der Artikel darauf hinwies, dass man B12 in Tablettenform zu sich nehmen solle. Aber ich bin der Meinung, dass man dies deutlicher hätte machen müssen. Wenn man schon eine vegane Ernährung empfiehlt, ist der Hinweis auf die Vitamin B12-Supplementation zentral. Ein Mangel kann zu schwerwiegenden Nervenschäden führen. Gerade Fehlinformationen wie die über B12 in Sauerkraut und Algen lassen den Veganismus außerdem für viele Menschen kompliziert oder gefährlich erscheinen. Und nicht wenige Veganer_innen verzichten auf die Supplementation, weil sie immer wieder hören, sie könnten ihren Bedarf durch bestimmte Pflanzenprodukte decken.
Natürlich, der Artikel stand nicht in einem Fachblatt für Ernährungswissenschaft, sondern in einer Zeitschrift, die der Unterhaltung dient und in der die meisten Artikel recht kurz gehalten sind. Deshalb wird die vegane Ernährung (von einer Lebensweise ist natürlich nie die Rede) auch sehr oberflächlich – eben wie jede andere Diät zur Gewichtsreduktion auch – dargestellt. An die hält man sich für zwei Wochen und dann steigt man wieder auf seine üblichen Lebensmittel inklusive Tierprodukte um, weil es einem entweder langweilig wird, oder viel wahrscheinlicher, weil man einfach Hunger hat und nicht die Ergebnisse sieht, die die Diät versprach.
Veganer_innen gibt es in allen möglichen Körpergrößen und Formen. Auch wenn es statistisch gesehen eine Wahrscheinlichkeit gibt, dass wir dünner sind als der Rest der Bevölkerung, in der Realität sind wir es meist nicht. Unter uns gibt es Dünne, Dicke und „Normale“. Wir alle haben verschiedene Körper, verschieden Stoffwechsel und, man mag es kaum glauben, verschiedene Ernährungsweisen. Manche Veganer_innen essen viel Gemüse. Andere nicht. Manche fühlen sich voller Energie, andere nicht, die meisten fühlen sich wahrscheinlich einfach nur „Normal“. Und das hat meistens ganz andere Gründe als die Ernährung. Wenn man sich zwei Tage nach einer Ernährungsumstellung plötzlich wie auf Wolken geht, würde ich persönlich den Effekt eher Placebo als „Detox“ nennen.Ansonsten kann natürlich jede Ernährungsumstellung, die vitamin- und mineralstoffarme Lebensmittel durch solche mit vielen Nähr- und Ballaststoffen ersetzt, dazu fühlen dass man sich „besser“ fühlt. Oder auch nicht. Vielleicht hat man sich ja auch schon immer ganz gut gefühlt und nur nicht darauf geachtet.
Mir gefällt die Art und Weise, wie der Veganismus hier dargestellt wird, nicht. Für mich geht es um Gerechtigkeit, Vernunft und die Fähigkeit zu kritischem Denken. Diese Lebensweise fordert nicht nur unsere üblichen Ansichten über Lebensmittel und die Agrarindustrie heraus. Generell geht darum, Machtverhältnisse und Hierarchien in Frage zu stellen. Veganismus ist kein Diätwunder. Es ist vor allem keine Diät. Es sollte hier nicht um Gewicht oder Aussehen gehen. Ja, ich weiß, dass viele Menschen genau das von einer veganen Ernährung erwarten. Und dass man sagt, ist doch egal, warum die Leute Veganer_in werden. Ist es auch. Ist es aber nicht, wenn man ihnen Wunder verspricht. Was, wenn sie nicht abnehmen? Was, wenn sie nicht auf Wolken gehen? Dann werden sie schnell zu ihrer alten Ernährungsweise zurückkehren und den Veganismus zu den ganzen anderen Wunderdiäten stellen, die alle nichts gebracht haben. Und obendrauf werden sie sich noch richtig schlecht fühlen, weil ihnen jede_r erzählt hat, wie einfach man als Veganer_in dünn wird und bleibt. Denn jede_r, der schon mal Gewicht verloren hat, weiß wie schwierig es ist, und dass es dabei um viel mehr als nur Ernährung geht.
Es macht mich wütend, dass der Veganismus hier nur dazu dient, Geschlechterstereotype zu festigen. Denn dass man als Frau abnehmen will/muss, wird als gegeben vorausgesetzt. Dabei ist eines der größten Potenziale des Veganismus, hier nicht mehr mitzumachen. Wenn man sich mit Tierausbeutung beschäftigt und sich über ihre Ausmaße klar wird, kommt man nicht daran vorbei, sich auch mit Ausbeutung in anderen Bereichen der Gesellschaft und des Rechts- und Wirtschaftssystems zu beschäftigen. (Oder man hat es sowieso schon vorher gemacht und die Entscheidung vegan zu leben, war vielleicht eine logische Konsequenz.) Für mich geht es deshalb nicht darum zu fragen: „Was bringt das für mich?“. Es geht darum zu fragen:“Was kann ich beitragen?“. Was kann ich beitragen zum Beispiel zu einer Gesellschaft, die nicht nur besser mit Tieren umgeht, sondern auch mit Menschen und insbesondere mit Frauen.